Von Teichrosen und Textaufgaben

Von Teichrosen und TextaufgabenTextaufgaben gehören zu jenen Facetten der Mathematik, auf die man entweder sofort intuitiv bestens klarkommt, oder die einen auch nach heftigstem Üben immer noch in den blanken Wahnsinn treiben. Das hat zwei einleuchtende Gründe:

1) Textaufgaben zwingen uns dazu, vom geschriebenen Wort auf die nackten Fakten und nüchternen Zahlen zu schließen. Dazu muss die verbale Intelligenz der numerischen Intelligenz fehlerfrei zuspielen. Und dieser „Cross Over“ gelingt nicht jedem Gehirn gleichermaßen gut, auch wenn ansonsten sowohl die sprachliche als auch die mathematische Begabung für sich alleine genommen nichts zu wünschen übrig lassen.

2) Textaufgaben enthalten, wenn sie besonders gemein sind, zahlreiche Angaben, die man zu des Rätsels Lösung überhaupt nicht braucht. Dann muss erst analysiert werden, welche Mitteilungen völlig irrelevant sind, und welche tatsächlich zum Finden der korrekten Antwort benötigt werden. Das verlangt einem Geist eine erhebliche kognitive Leistung wie auch eine ausgedehnte Aufmerksamkeitsspanne ab, wozu nicht jedes Oberstübchen willens oder in der Lage ist.

Ein bekanntes Beispiel für eine Textaufgabe der zweiten Art beschäftigt sich mit der Wachstumsorientierung von Teichrosen. Sie geht ungefähr so:

Auf einem Gartenteich, der eine Fläche von 80 Quadratmetern hat, wächst eine ganz spezielle Teichrosensorte aus Lampukistan. Diese Teichrose öffnet jeden Morgen um 5.30 Uhr ihre Blütenblätter, und schließt diese wieder nach Einbruch der Dämmerung, spätestens jedoch um 20.00 Uhr. Der Gartenteich hat kein geradliniges Ufer, sondern wurde nach natürlichem Vorbild mit einer unregelmäßigen Uferbegrenzung angelegt. Die Teichrose wurde von der Besitzerin des Gartenteichs persönlich ins Wasser gesetzt. Im Laufe des Pflanzenwachstums konnte die Frau beobachten, dass sich die von der Teichrose bedeckte Oberfläche des Wassers jeden Tag verdoppelt. Am 20. Tag nach dem Ausbringen der Teichrose war bereits die Hälfte des Gewässers überwachsen. Die Frage lautet nun: Wie lange würde es wohl noch dauern, bis die Teichrose den kompletten Gartenteich bedeckt haben würde?

Na? Wissen Sie die Antwort?

Tatsächlich sind in diesem ganzen blumigen Geschwurbel lediglich zwei Informationen wichtig. Die eine Information lautet: Die Teichrose verdoppelt sich jeden Tag. Und die andere Information: Der Gartenteich ist am Tag X bereits zur Hälfte überwuchert. Das bedeutet: Es wird noch genau einen Tag, also X+1 dauern, bis man von dem Wasser nichts mehr sieht. Ganz egal, wie groß der Teich ist, oder am wievielten Tag der Teich schon halb bedeckt war. Es ist immer nur X+1.

Ganz schön fies, nicht wahr?

Fies? Ja, allerdings. Aber auch sehr lehrreich. Denn wir lernen hier zum einen, dass man durchaus vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen kann, wenn man in Sachen Information nicht schnell die Spreu vom Weizen trennt. Und zum anderen wird klar, dass Menschen oder Medien, die uns gnadenlos mit ausgeschmückten Texten zuballern, oft weit mehr verbergen als wahrhaftig enthüllen möchten. Hüten Sie sich also vor Vielschwätzern, die Ihnen unbedingt ein Klavier an die Backe labern wollen, und vor Rednern, die nicht allerspätestens nach 10 Minuten zum glasklar erkennbaren Kern ihres Vortrages kommen. Denn beide wollen Ihnen garantiert nichts Gutes.

Und so schließe ich diesen Beitrag mit den goldenen Worten von Winston Churchill: „Eine gute Rede soll das Thema erschöpfen, nicht die Zuhörer.“

– Carina Collany –

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Eine Antwort

  1. Martha sagt:

    Manchmal ist es bei Textaufgaben aber auch so, dass gegebene Informationen fälschlicher Weise für irrelevent gehalten werden. Dann kommt man auch nicht auf die Lösung. Dazu habe ich ein Beispiel:

    Ein Mann will einen Bären jagen. Er nimmt sein Gewehr und verlässt sein Haus. Zunächst läuft er einen Kilometer nach Süden. Dann läuft er einen Kilometer nach Westen. Dann läuft er einen Kilometer nach Norden und steht nun wieder genau vor seinem Haus. Da sieht er plötzlich einen Bären und erlegt ihn.

    Die Frage: Welche Farbe hat der Bär?

    Ich versichere, dass die Aufgabe korrekt gestellt ist und dass man mit ein wenig Nachdenken auf die richtige Antwort kommt.