Der Schweinehund aus subjektiver Sicht
Pausenlos wird uns eingehämmert, dass wir alle unseren inneren Schweinehund besiegen sollen, um anschließend dies und das zu tun, und um jenes zu lassen. Hallo? Hat da vielleicht jemand vergessen, dass der Hund immer noch der beste Freund des Menschen ist? Und das diese Aussage selbstverständlich auch für den Schweinehund gilt, der uns immerhin tagtäglich so nah ist, wie es kein anderes noch so innig geliebtes Haustier jemals schaffen könnte? Ich finde, es ist dringend an der Zeit, endlich einmal für den viel und gänzlich zu Unrecht geschmähten Schweinehund eine Lanze zu brechen, und dem Lustprinzip das Wort zu reden.
Welche Aufgaben hat der innere Schweinehund?
Unser bequemer Begleiter mag auf den ersten Blick nicht so wirken, aber er ist ein ganz vorzüglicher Hütehund. Die Natur hat ihm beigebracht, uns, also seine Schutzbefohlenen, vor unnötigen Gefahren, vor der sinnlosen Verschwendung von Energie und vor unangenehmen Situationen zu schützen. Keine leichte Aufgabe. Darum hat ihm die Evolution ein ebenso mächtiges wie simples Werkzeug mitgegeben: Das Lustprinzip. Diese einfache und zugleich bestürzend effektive und effiziente Leitlinie gibt uns unmittelbar anschaulich darüber Auskunft, was wir lustvoll anstreben sollten, und was es mangels Lust zu meiden gilt. Das Lustprinzip kann also durchaus als das aufmerksame Bellen des inneren Schweinehundes interpretiert werden. Immer, wenn wir es hören, will uns unser treuer Freund anzeigen, wo es lustvoll langgehen kann, und welche Wege man besser meiden sollte, wenn man die Lust nicht verlieren will.
Beispiele? Aber gerne!
» Das Lustprinzip weist uns grundsätzlich an, uns ausschließlich dann zu bewegen, wenn es aus irgendwelchen Gründen notwendig ist. So sparen wir wertvolle Energie. Und Energie, die wir nicht vergeuden, müssen wir uns auch nicht in Form von knapper Nahrung wieder mühsam neu zusammensuchen, wodurch wir noch energieeffizienter wirtschaften. Je mehr der Körper in Ruhe bleiben darf, desto geringer ist sein Treibstoffverbrauch. Darum muss der innere Schweinehund dafür sorgen, dass Bewegung als ein lästiges Übel empfunden wird, welches nie ohne guten Grund stattfindet.
» Je mehr und je besser verwertbare Energie ein Nahrungsmittel mitbringt, desto sicherer kann der Organismus auch mit kleinen Futtermengen bewirtschaftet werden. Und fallen mal ausnahmsweise größere Portionen hochkalorigen Essens an, ergibt sich zusätzlich noch die willkommene Gelegenheit, für schlechte Zeiten die stille Reserve namens Hüftgold aufzustocken. Deshalb sorgt der innere Schweinehund dafür, dass wir fette und süße Speisen intuitiv bevorzugen, wenn man uns die freie Wahl lässt.
» Möglichst viele Nachkommen zu zeugen ist die Basis einer beständigen Population. Aber welche klar denkende und mit Intelligenz gut begabte Mensch hat schon Spaß daran, schwanger zu sein? Unter vernichtenden Schmerzen zu gebären? Und sich dann anschließend von einem ständig spuckenden, scheißenden und schreienden Laufstall-Terroristen um Lebensfreude und Nachtschlaf bringen zu lassen? Eben. Damit der Kreislauf des Lebens dennoch nicht zum Erliegen kommt, flüstert uns unser Schweinehund zu, dass Sex mächtig viel Spaß macht. Und die Lustzentren im Gehirn und auch anderswo sorgen dafür, dass der Schweinehund nicht Lügen gestraft wird. Darum gucken Männer gerne hin, wenn es was zu gucken gibt, und greifen auch gerne bei günstigen Gelegenheiten rasch zu. Und Frauen lassen sich ebenfalls gerne den Hof und das Bett machen, wenn der Auserwählte ihnen in den Kram passt. Haben Er und Sie dann zusammen ohne Sicherheitsausrüstung den großen O erklommen, kann auch der Nachwuchs wieder rollen.
(Für den Erhalt der Freude an den anderen Umständen sorgen übrigens Tonnen von Hormonen, die uns ziemlich erfolgreich weismachen, das es ganz großartig ist, sich fortzupflanzen. Der übelste Hütchenspieler ist ein armer Wicht gegen so viel drogeninduzierte Augenwischerei Marke Eigenbau. Aber das ist wieder ein anderes Thema.)
… aber dann ist der Schweinehund ja ein Dinosaurier!
Völlig richtig. Als die Evolution den inneren Schweinehund abgerichtet hat, mussten die Menschen jeden Tag aufs Neue um ihr Überleben, um ihre Nahrung und um ihren Fortbestand kämpfen. Wer da mit Geschick einen für Fressfeinde möglichst unauffälligen Lebenswandel pflegte, reichlich Nachkommen zeugte und es schaffte, sich hier und da ein bisschen Speck auf die Rippen zu futtern, war ein perfektes Erfolgsmodell. Außerdem war das Leben der frühen Menschen sowieso irgendwo zwischen 15 und 20 Lenzen aus und vorbei. Länger musste der Schweinehund nie Dienst tun. Und so tickt er halt auch heute noch, der bellende Wachhund unserer archaischen Überlebens-Fitness. Möglichst keine unnötigen Bewegungen machen, fressen, was das Zeug hält, und sich bei jeder Gelegenheit fruchtbar mehren. Sehr sinnvoll bei vom täglichen Existenzkampf geforderten Leuten, die keinen 20. Geburtstag feiern werden. Doch durchaus problematisch in unserer modernen Zivilisation, wo die Menschen immer mehr und immer älter werden, und die Jagd im Discounter stattfindet.
Fazit
Der innere Schweinehund macht einfach nur genau den Job, den er während der letzten paar tausend Jahre mit unübersehbarem Erfolg erledigt hat. Woher soll dieser treue Freund denn plötzlich wissen, dass viele seiner gut gemeinten Überlebensregeln, die den Menschen auf das evolutionäre Siegertreppchen gehoben haben, inzwischen ziemlich kontraproduktiv geworden sind? Wir können es ihm leider nicht erklären, da er unsere Sprache nicht versteht. Aber wir können respekt- und verständnisvoll mit ihm trainieren, statt uneinsichtig und autoaggressiv gegen ihn zu arbeiten. So könnte der treue Vierbeiner demnächst mit neu entdeckten mentalen Möglichkeiten beim Joggen neben uns her trotten und unsere Welt neu für sich entdecken. Wuff!
– Carina Collany –
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