Transhumanismus: Alter Wein in neuen Schläuchen
Der Transhumanismus macht es sich zur Aufgabe, den Horizont menschlicher Möglichkeiten und Fähigkeiten durch den Einsatz modernster Technologie im Sinne des „state of the art“ zu erweitern. Will heißen: Transhumanismus möchte die natürlichen und bauartbedingten Grenzen von Körper und Geist mit künstlichen Mitteln verändern und/oder verschieben. Oder poetisch formuliert: Man bastelt fröhlich rum und baut auch schon mal um, sonst bleibt der Körper dumm. Und damit das ganze Gedöne auch einen attraktiven Namen hat, wirbeln Hashtags wie „Bodyhacking“, „Cyborging“ oder auch „BodyMod“ durch die sozialen Medien. Dabei wird natürlich sehr schnell vergessen, dass der Transhumanismus keine nigelnagelneue Sache ist, sondern bereits so alt daherkommt wie die Menschheit selbst.
Transhumanismus. Oder: Sind wir nicht alle ein bisschen Cyborg?
Nach der gängigen Definition ist ein Cyborg ein Mensch, dessen Körper dauerhaft durch artifizielle Bauteile ergänzt ist. Sozusagen permanent bionisch modifiziert. Insoweit bin auch ich ein Cyborg, und das schon seit Kindesbeinen. Denn meine erblich bedingte Kurzsichtigkeit verlangt nach einer gediegenen Sehhilfe, auch Brille genannt, ohne die ich nicht wirklich überlebensfähig wäre. Insoweit ist meine künstliche Brille ein Teil meines natürlichen Körpers. Und wenn ich nicht so voreingenommen gegen unnötige chirurgische Eingriffe wäre, dann hätte ich mir längst vom Onkel Doktor künstliche Linsen in meine kurzsichtigen Augen einbauen lassen. Dann wäre ich sozusagen untrennbar mit meinen bionischen Prothesen verbunden und würde insoweit dem Transhumanismus zur Ehre gereichen. Doch auch mit meinen Zahnfüllungen kann ich hier schon punkten. Und jetzt Sie:
- Wer von Ihnen hat schon Ersatzteile im Mund oder in den Augen?
- Oder einen Herzschrittmacher?
- Oder ein Hörgerät?
- Oder eine Insulinpumpe?
- Oder künstliche Gliedmaßen, sprich Prothesen?
- Oder vielleicht sogar ein Magenband?
Oder andere permanente Einbauten, die von der Natur so erst einmal nicht vorgesehen waren? Wer von Ihnen komplett ohne künstliche Zusätze ist, der hebe nun bitte die Hand. Sehr viele von Ihnen können das nicht sein. Wir Cyborgs sind tatsächlich in der überwältigenden Mehrheit unterwegs. Und das schon seit Jahrhunderten.
Transhumanismus 4.0
Jetzt haben wir geklärt, warum künstliche Teile im natürlichen Menschen eine weit längere Tradition haben, als der so modern klingende Terminus des Transhumanismus dies vermuten ließe. Doch blieb die Ersatzteilbranche bislang überwiegend dem Gebiet der Wiederherstellung verlorener, aber gleichwohl natürlicher Fähigkeiten verhaftet. Inzwischen blicken Cyborger über den Tellerrand dessen hinaus, was dem menschlichen Körper mit in die Wiege gelegt ist. Wer will, kann sich allerhand technischen Schnickschnack einpflanzen lassen, um dann beispielsweise mit einem Chip im Daumen eine Tür zu öffnen. Dem Bodyhacking scheinen nur temporäre Grenzen gesetzt zu sein. Dabei muss allerdings die Frage erlaubt sein, ob der Nutzen solcher Aktionen höher zu veranschlagen ist, als die Risiken und Nebenwirkungen derartiger Upgrades. Einen sehr spannenden Blick in eine mögliche Zukunft des Transhumanismus wagte der Autor William Gibson mit seiner inzwischen zur Kult-Lektüre avancierten und auch heute noch unbedingt lesenswerten Neuromancer Trilogie. Wer sich dann noch freiwillig in die schwarzen Kliniken von Chiba begeben mag, weiß immerhin, was er tut.
Transhumanismus – mein Fazit
Muss ich wirklich, ohne ein Zugvogel zu sein, einen Magnetsinn haben? Muss ich, ohne ein Insekt zu sein, UV-Licht sehen können? Brauche ich wirklich einen implantierten Vibrationsalarm? Gewiss klingt es für manche Visionäre verlockend, die angeborenen Sinneskanäle um ein paar zusätzliche Modalitäten zu erweitern. Doch machen solche Bodyhackings das Leben wirklich einfacher, besser oder sicherer? Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass man nicht alles machen muss, nur weil es geht und weil man es machen kann. Ich bin mehr für jene Errungenschaften zu begeistern, die mich wirklich nachweislich weiter bringen. Darum bin ich mit meiner Brille und mit meinen Zahnfüllungen durchaus zufrieden. Jedenfalls so lange, bis das Bessere als Feind des Guten noch nicht auf der Bildfläche erschienen ist.
– Carina Collany –
Beitragsbild: PIRO4D bei pixabay
Es gibt sogar schon „Hirnschrittmacher“, die die Gedächtnisleistung verbessern helfen:
http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-22573-2018-03-28.html
Soll man da begeistert oder befremdet sein? Ich weiß es nicht.