Zu Wasser, zu Lande und in der Luft – Ein Märchen?

zu-wasserAuf einem fernen Planeten, ähnlich unserer Erde, aber etwas kleiner, lebten einmal Geschöpfe, die ihre Kinder so vollständig entwickelt zur Welt brachten, dass nur noch Muttermilch, Zeit und liebevolle Zuwendung notwendig waren, um sie großzuziehen. Diese friedlichen Geschöpfe, die keine Feinde hatten, gediehen prächtig auf ihrem Planeten und vermehrten sich dementsprechend zahlreich. So geschah es eines Tages, dass ihnen der Platz zum Leben und die Nahrung knapp zu werden drohten.

Die Geschöpfe versammelten sich, um gemeinsam zu beraten, wie es weitergehen könnte. Und sie hatten dazu eine gute Idee, die einstimmig und begeistert angenommen wurde. Es wurde beschlossen, alle auf dem Planeten lebenden Geschöpfe auf drei gleich große Gruppen zu verteilen. Die eine Gruppe sollte „Aquas“ heißen und sich das Meer als neuen Lebensraum erschließen. Die zweite Gruppe, die „Aeros“, sollten den Luftraum besiedeln und bevölkern, und die dritte Gruppe, die „Terras“, sollten da bleiben, wo sie schon immer gewesen waren, nämlich auf dem festen Boden.

Viele der Geschöpfe fanden es sehr aufregend und reizvoll, als Pioniere eine neue Lebensform auszuprobieren, manche waren eher bequem und mochten einen solchen Gedanken an eine so weitreichende Veränderung nicht hegen. Und so fügte es sich zwanglos und für alle einvernehmlich, wer in welche Gruppe kam. Die Geschöpfe, die sich bislang keine Namen gegeben hatten, weil sie sich von keinem anderen Wesen hätten unterscheiden müssen oder wollen, konnten sich zunächst nur schwer daran gewöhnen, ab jetzt individuell einer von drei Gruppen anzugehören, von denen jede ein anderes Ziel hatte. Als aber alles soweit geklärt war und jeder seine persönlichen Vorbereitungen getroffen hatte, lösten sich die drei Gruppen voneinander und reisten voller Hoffnung jeweils ihren neuen Zielen entgegen.

Die Aquas gingen ins Meer, passten ihre Körper mit ein paar leichten Umbauten den dort herrschenden Umweltbedingungen an und eroberten enthusiastisch eine wunderbare und phantastische neue Welt, die ihnen nie geahnte Möglichkeiten und Sensationen bot. Die Aeros ließen sich ihre Hände ganz lang wachsen, so dass sie sie wie Flügel benutzen konnte, und schwangen sich in die Lüfte auf. Begeistert erfreuten sie sich ihres neuen Territoriums, das ihnen nie gekannte Gefühle von Weite und Erhabenheit vermittelte. Die Terras schließlich blieben, ihrem Wunsch gemäß, genau da, wo sie waren, und hatten nun wieder reichlich Platz und Nahrung für sich und ihre Nachkommen zur Verfügung.

Alle Geschöpfe, Aquas, Aeros und Terras, waren begeistert und überzeugt von dem genialen Plan und von seiner relativ unkomplizierten, aber dennoch höchst effizienten Ausführung. Jeder war zufrieden und glücklich, und alle Probleme schienen gelöst und vergessen.

Mit der Zeit aber kamen einigen Geschöpfen Zweifel, ob sie sich damals für den richtigen Weg entschieden hatten. Besonders die Terras fragten sich immer häufiger, ob sie nicht in einem der beiden anderen Lebensräume besser dran gewesen wären. Sie neideten den Aquas ihr spielerisches, schwereloses Leben fernab jeder klimatischen Unbill im schillernd bunten Unterwasserreich. Und sie neideten den Aeros ihr majestätisches Dahingleiten im unendlichen Blau des freien Himmels. Dabei spielte es irgendwie plötzlich gar keine Rolle mehr, dass die Terras freiwillig ihre Lebensgewohnheiten beibehalten hatten, und sehr heftig protestiert hätten, wenn man sie seinerzeit gegen ihren Willen hätte umsiedeln wollen. Die Terras schürten ihre unseligen neuen Neid- und Hassgefühle mit selbstgerechter Inbrunst und beschlossen, es allen, denen es nun ungerechter Weise so sehr viel besser zu gehen schien als ihnen, heimzuzahlen.

Zunächst richtete sich die Hetze gegen die Aquas. Die Terras hatten beschlossen, die körperlich ihrer neuen Umwelt angepassten Aquas nicht mehr als ihresgleichen, sondern als minderwertige und rangniedere Wesen zu betrachten. Das gab ihnen das Recht, wenn nicht gar die Pflicht, die Aquas zu jagen und zu töten. Die friedfertigen Aquas, die den neuen aggressiven Strebungen ihrer einstigen Brüder und Schwestern wehrlos ausgeliefert waren, starben zu tausenden und abertausenden. Die Terras jagten sie entweder nur so, zum sportlichen Spaß, oder weil sie angeblich gefährliche Bestien waren, oder weil sie ihre toten Körper als Rohstoffquelle gebrauchen konnten. Und die wenigen Aquas, die solchen aggressiven Auseinandersetzungen entkamen, die wurden von den Terras dadurch bedroht, in dem sie ihren Lebensraum Meer mutwillig vergifteten und verdreckten. So konnten sich die Terras schließlich wieder völlig gewiss sein, dass eine Existenz als Aqua rein gar nichts beneidenswertes mehr hatte.

Von dieser Erkenntnis jedoch nur halb befriedigt, wendeten sich die Terras nun mit ihrem grenzenlosen Hass und Neid, der ihre Seelen schon vollends vergiftet hatte, den Aeros zu. Mit ihren zu Flügeln gewordenen Händen wurden sie zu kleinen Teufeln und Dämonen deklariert, die Krankheit und Tod bringen, und die schon durch ihr absonderliches Äußeres unangenehm auffallen und daher ausgerottet werden müssen. Auch hier wurde erfolgreich verdrängt, dass Aeros und Terras einmal die gleichen Geschöpfe gewesen waren; auch hier traf die wenig wehrhaften Aeros die geballte Aggressivität ihrer nahen Verwandten ebenso überraschend wie vernichtend. Den Aeros wurde nachgestellt, ihre Wohnstätten wurden vernichtet, ihre Nahrungsquellen wurden zum Versiegen gebracht. Die wenigen, die überleben konnten, fristeten ein kümmerliches Dasein, ständig in Furcht und Sorge, doch noch entdeckt und getötet zu werden.

Nun waren die Terras wieder die uneingeschränkten Herrscher über ihren Planeten und konnten sagen, dass ihre Existenzform die einzig richtige und die beste sei. So dachten sie zumindest. Doch dann bemerkten sie, dass bei ihrem Rachefeldzug etwas schief gelaufen war.

Die verseuchten und verdreckten Meere, in denen schon lange nichts mehr leben konnte, waren nicht mehr dazu bereit, Trinkwasser zu spenden. Und die Lüfte, in denen schon lange kein Aero mehr nach dem Rechten sah, waren voll von bösartigen kleinen Plagegeistern, deren einziger Lebenszweck darin bestand, den Terras Blut abzuzapfen und sie zum Dank dafür mit gefährlichen Erregern zu infizieren. Eine schreckliche Seuche nach der anderen kam so über die Terras, die sich gegen diese unsichtbar winzigen, aber mächtigen Gegner kaum zur Wehr setzen konnten. Und diejenigen Terras, die nicht an einer Infektionskrankheit verendet sind, die sind qualvoll verdurstet, da die Trinkwasserquellen rasend schnell versiegten und sich nicht wieder auffüllen ließen.

Die Katastrophe war perfekt. Und so verschwanden schließlich zuletzt mit den durch ihren eigenen Fluch heimgesuchten Terras die allerletzten Geschöpfe, die wir auf der Erde wohl Säugetiere genannt hätten, vom Angesicht jenes fernen Planeten, ähnlich unserer Erde, aber etwas kleiner.

– Carina Collany –

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3 Antworten

  1. Martha sagt:

    Auf N24 war neulich wieder mal
    Der Tag an dem es zu viele Menschen gibt
    zu sehen.
    Das hier erinnert mich ziemlich daran *grübel*
    Ganz ehrlich – wenn hier die Wasserverteilungskriege ausbrechen, dann möchte ich das bitte nicht miterleben müssen *bibber*

  2. Daniel Deppe sagt:

    Und wenn man dann noch mal so vorsichtig darüber nachdenkt, was aus den Ländern der heutigen dritten Welt werden könnte. Wenn die zu einer gewissen neuen Macht kommen und damit nicht umgehen können …

  3. NN sagt:

    Traurig, aber leider wahr:

    „Menschheit benötigt bis 2030 eine zweite Erde“
    http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article113039742/Menschheit-benoetigt-bis-2030-eine-zweite-Erde.html

    Ich persönlich glaube, dass es zu spät ist 🙄