Onlineshops ohne Ende?
Als freie Marketingberaterin schaue ich mir immer mal wieder gerne Fernsehwerbung an. Denn nirgendwo kann ich besser mitverfolgen, welche Zielgruppen gerade besonders begehrt sind, wie sich diese zu umgarnenden Zielgruppen gerne selbst im Idealbild sehen, und mit welchen trendigen Produkten oder Dienstleistungen diese potenziellen Kunden zur Kasse gebeten werden sollen. Werbung war eben schon immer der beste und präziseste Spiegel der Gesellschaft und wird es immer bleiben.
So weit, so zeitgeistig.
Heute fiel mir allerdings, gewissermaßen auf einer Meta-Ebene meiner professionellen Analysen, ein völlig neuer Aspekt ins Auge. Ein Aspekt, so völlig offensichtlich, dass ich ihn als jenen Wald beschreiben möchte, den ich vor lauter Bäumen lange nicht sehen konnte:
Es gibt scheinbar nur noch Onlineshops!
Natürlich ist es hip und modern, online im Internet einzukaufen. Darum geht es gar nicht. Was mich aus der TV-Werbung feist angeglotzt hat, ist die Tatsache, dass in der schönen neuen Werbewelt absolut gar keine „echten“ Geschäfte mehr zu existieren scheinen, in denen man die Ware „vor Ort“ und ganz real angucken, anfassen und ausprobieren kann. Betrachtet man die Spots in den Werbeblöcken, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland sein Zeugs nur noch in Onlineshops kauft.
Bei kleineren und unspektakulären Wirtschaftsgütern wie Büchern oder Bettwäsche mag das ja noch angehen. Doch inzwischen werden sogar wuchtige Möbel, ehrfurchtgebietende Großtechnik oder ausladende amerikanische Polizeiautos online erworben. Und auch nichtgegenständliche Wirtschaftsgüter wie finanzielle Beratungsdienstleistungen, vergleichende Recherchen oder spirituelle Lebenshilfen gehen, so scheint es, nur noch über den virtuellen Tresen zum surfenden Kunden. Man lässt sich online sein Lieblingsmüsli, sein Lieblingsparfüm und seine Lieblingsklamotten per Multiple Choice zusammenmixen. Man bestellt online sein Abendessen, mietet online Spielzeug oder kauft sich online ein paar Streicheleinheiten. Oder man lässt sich bei weniger individuellen Ansinnen vom Internet sagen, wo der gesuchte Artikel von der Stange am billigsten online zu haben ist. Es scheint wirklich gar nichts mehr zu geben, was man nicht auch online kaufen kann und tatsächlich auch online kauft. So gibt es jetzt, neben dem „gläsernen Kunden“, auch die gläsernen Anbieter.
Da muss es nicht verwundern, wenn großen Kaufhäusern mit jahrzehntelangen Traditionen die Puste ausgeht. Es sei denn, diese hätten ihren klickbesessenen Kunden ein zeitgemäßes virtuelles Shopping-Erlebnis anzubieten, das bequem und mühelos von zu Hause aus genossen werden kann.
Das Sterben der Städte
Kundschaft, die beim Einkauf mit ihrem Hintern zu Hause bleibt, kann logischer Weise nichts mehr zu einer belebten Innenstadt beitragen. Die allgegenwärtig sichtbare Folge sind schließende Läden, zu vermietende Geschäftsräume und opportunistische Ein-Euro-Rummelbuden. Zum Schaufensterbummel finden sich dann logischer Weise nur noch lichtscheue Gestalten ein, die ihren ganz eigenen Geschäften nachgehen. Die City-Kultur geht den Bach runter und liefert die verwaisten Stadtkerne nach und nach dem betriebsamen Bodensatz der Gesellschaft aus. Kriminalität rauf, Kundenbesuche runter. Was dabei rauskommt, kann sich jeder selbst ausrechnen. Zugewinne sieht da wohl nur noch die boomende Security-Branche.
Onlineshops lassen heute keinen noch so ausgefallenen oder großen Wunsch mehr offen. Gleichzeitig verändern und vernichten sie nachhaltig sowohl urbane als auch soziale Strukturen. Immer mehr Menschen werden immer weniger nach draußen gehen, um zu sehen, wie die Welt wirklich ist. Ist dann vielleicht auch gesünder so.
Second Life ist nicht tot. Second Life ist wie ein schleichendes Gift unmerklich und gnadenlos effizient zu unser aller „echten“ Umwelt geworden. Der Lindendollar in den Onlineshops heißt Euro. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Mich, die ich immer so stolz darauf war, lieber ein echtes Leben als virtuellen Schischi zu haben.
Nichts ist grausamer als die Wahrheit, die in der Werbung offenbar wird.
– Milla Münchhausen –
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