Zeit ist ziemlich relativ

zeitWann langweilen Sie sich zu Tode? Bei welchen Aktivitäten scheint Ihnen dagegen die Zeit nur so zwischen den Fingern zu zerrinnen? Wofür nehmen Sie sich gerne Zeit, und wofür haben Sie keine Zeit übrig? Kommt Ihnen eine Zeitstunde eher kurz oder eher lang vor, und wovon hängt diese Einschätzung ab? All diese Fragen (und ich könnte noch eine ganze Menge mehr davon in den Raum und damit in die Raumzeit stellen) machen deutlich, dass Zeit eine sehr subjektive Erfindung des Menschen ist, die einzig und allein dazu dient, eine allgemein verbindliche Struktur in das Leben und in das bescheidene menschliche Verständnis von Kausalität zu bringen.

Aufgeschlossene und mit allen Quantenwassern gewaschene Physiker wissen es längst: Der Zeitbegriff ist in den Formeln zwar hier und da vorhanden, aber grundsätzlich herzlich entbehrlich. Und Zeit als Dimension gibt es schon mal überhaupt gar nicht. Es ist darum auch nicht die Zeit als solche, die den Physiker gelegentlich beschäftigt, sondern ausschließlich der Unterschied zwischen zwei mit handfesten Parametern definierten Zuständen. Wer hier mitdenkt, wird ebenfalls schnell erkennen, dass ein theoretischer Physiker unserer Zeit 😉 gar keine Schwierigkeiten damit hätte, das berühmte „Delta t“ sowohl vorwärts als auch rückwärts zu lesen. Zeitreisen könnten damit grundsätzlich Türen und Tore geöffnet werden. Trotzdem würde ich, nicht zuletzt wegen der Heisenbergschen Unschärferelation, momentan noch dringend davon abraten, eine Zeitreise anzutreten. Denn der Heisenberg-Kompensator ist derzeit 😆 noch nicht erfunden worden.

Wenn Zeit also keine auf dem Boden der Weltformel verankerte feste Größe sein kann – was fasziniert uns Menschen dann so sehr an diesem frei schwebenden Konstrukt? Warum beten wir Uhren wie moderne Götzen an? Warum lassen wir uns vom Ticken der Unruhe beunruhigen? Und warum kriegen wir schon dann Hörner, wenn der Bus mal eine Minute Verspätung hat? Ganz einfach: Zeit bringt uns Verlässlichkeit, Sicherheit und Konsens. Man mag sich ja streiten, worüber man will, aber nicht über die Anzeige auf einer Atomuhr. So kommt auch um kurz vor Zwölf wenigstens noch eine rudimentäre Einigkeit zwischen ansonsten bis aufs Blut zerstrittenen Leuten auf. Ob mir das Hoffnung oder Resignation geben soll, ist derzeit noch unklar.

Kann man denn auch ganz ohne Uhr und ohne Zeitbegriff leben? Allerdings, und zwar höchst sozial und genuin friedfertig. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist das Volk der Penan, das im Norden Borneos zu Hause ist. Den Penan schlägt keine Stunde, während sie ihrem penibel reglementierten Tagwerk nachgehen. Jeder weiß ganz genau, was er zum Wohle aller und im Einklang mit der Natur zu tun hat. Zum Jagen und Sammeln brauchen die Penan weder eine Uhr noch eine Vorstellung von Zeit, weshalb ihnen auch beides komplett abgeht. Leider wundert es in diesem Zusammenhang nicht, dass das Volk der Penan vom gnadenlos vorrückenden Zivilisationsmonster mit zunehmender Geschwindigkeit verschluckt wird. Aber das ist wieder eine andere traurige Geschichte.

Sollten auch Sie zu jenen ewig Gehetzten gehören, die sich von dem Diktat der allgegenwärtigen Chronometer durch das Leben jagen lassen, dann möchte ich Sie heute in Ihrem eigenen Interesse um folgendes bitten:

– Halten Sie einen Moment inne.
– Fragen Sie sich, was Ihnen wirklich wichtig ist in Ihrem Leben.
– Setzen Sie entsprechende Prioritäten.
– Entziehen Sie nutzlosen Energiefressern den Zugang zu Ihrer Welt.
– Leben Sie, so lange Sie es noch können.

Ich möchte mit zwei berühmten Zitaten schließen, die es ziemlich genau (und mit einem süffisanten Augenzwinkern) auf den Punkt bringen:

„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.“ (Albert Einstein)

„Die Menschen werden geboren, die Menschen sterben, und die Zeit dazwischen verbringen sie mit dem Tragen der Digitaluhren.“ (Douglas Adams)

Mit entschleunigtem Gruß und
ohne Armbanduhr – Carina Collany

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Eine Antwort

  1. 15. Juni 2017

    […] dass uns beispielsweise 15 Minuten beim Anschauen eines spannenden Films wesentlich schneller zu vergehen scheinen als 15 Minuten in der telefonischen Warteschleife einer Servicewüste. Wie es dazu kommt, […]