Angrapscher – Typologie einer ätzenden Spezies
Hatten auch Sie schon einmal Besuch von Leuten, die prinzipiell alles, was sie sehen, mit ihren grobmotorischen Pfoten ungefragt anpacken? Ich nenne solche Menschen Angrapscher. Was ich damit nicht meine, sind bedauernswerte Personen, die unter einem psychisch krankheitswertigen Berührungszwang leiden. Was ich auch nicht meine, ist der Kunde, der im Laden das Objekt seines Kaufinteresses legitim und berechtigt begutachtet. Und was ich ebenfalls nicht meine, sind unerzogene Bälger, die grundsätzlich immer und überall mit ihren schmierigen klebrigen Drecksgriffeln aus Prinzip alles antatschen. Wovon ich hier und heute meinem Herzen Luft machen will, sind (zumindest dem Lebensalter nach) Erwachsene, die im negativen Sinne keinerlei Berührungsscheu kennen, und deren unwillkommene Flossen sich mit Lichtgeschwindigkeit überall dort bewegen, wo sie definitiv nichts zu suchen haben. Angrapscher eben. Sollten Sie ein besseres Wort dafür haben, bin ich für eine entsprechende Rückmeldung dankbar.
Im nachfolgenden Beitrag entwickle ich eine ganz persönliche Typologie aller Angrapscher, die mich schon auf die Palme gebracht haben. Auch hier werden Sie, so vermute ich, den einen oder anderen Angrapscher Typus aus eigener Anschauung wieder erkennen. Und möglicher Weise haben Sie meiner Angrapscher Typologie auch noch den einen oder anderen Charakter hinzuzufügen, dem ich wohl noch nie begegnet bin. Auch in diesem Fall bitte ich Sie um einen erhellenden Kommentar, der die hier niedergetippten Darlegungen praxisnah erweitern würde.
Angrapscher Typ1: Der Mechaniker
Diese marodierende Sorte betrachtet alle Gegenstände und Objekte unter dem Aspekt potenziell beweglicher Teile. Und das völlig unabhängig davon, ob die anvisierten Sachen wirklich beweglich wären. Tatsächlich spielt es beim Mechaniker nur eine höchst untergeordnete Rolle, ob die Frage nach der Beweglichkeit irgend einen Sinn ergibt. Hauptsache, er (oder sie) kann blitzschnell und mit möglichst unangemessen hohem Kraftaufwand ergründen, ob sich erblickte Teile drehen, schieben, ziehen, anheben, hochwerfen oder kippen lassen. Sollte bei diesen Experimenten etwas zu Bruch gehen, gibt es ein lapidares „Hoppala“, womit der Fall für den Mechaniker dann auch abgeschlossen wäre. Gerne wendet er sich dann neuen Anreizen zu. Ihrem hochwertigen und filigran detailreichen Flugzeugmodell vielleicht. Oder Ihrer neuen Stereoanlage.
Angrapscher Typ2: Der Höhlenforscher
Dieser Typ will immer nur das eine, nämlich seine Finger in sich darbietende Öffnungen bohren. Völlig ohne Sinn und Verstand, und selbstverständlich auch bar jeden echten heuristischen Interesses. Ob diese absurde Verhaltensweise, die geschlechterübergreifend zu beobachten ist, psychoanalytisch mit latenten Penetrationsphantasien zu interpretieren ist, sei dahingestellt. Jedenfalls kümmert es den Angrapscher in seiner Fingertier-Version nicht, ob das Reinstecken seines Fingers etwas beschädigen oder gar für den Finger selbst gefährlich werden könnte. Sobald irgend ein Loch in Sicht kommt, an einer aufwändigen Dekoration vielleicht, kann man sicher sein, dass der Höhlenforscher da rubbeldiekatz seine Finger drin hat.
Angrapscher Typ3: Der Prockler
Es gibt Menschen, denen man unruhige Hände nachsagt. Diese Leute müssen immer mit irgend etwas rumspielen und sind ohne einen wirksamen „Kaugummi für die Finger“ regelrecht aufgeschmissen. Der Angrapscher Typ des Procklers (prockeln als Ruhrgebiets-Idiom verstanden) sucht sich für dieses unstillbare Bedürfnis etwas aus dem in Griffnähe befindlichen Besitz seines Gastgebers aus, um das dann mehr oder weniger gedankenverloren, aber mit unermüdlichem Eifer kaputt zu knibbeln. Dabei kann es sich um den Korkenzieher handeln, um die brennende Kerze, um ein Schreibgerät oder auch schon mal um einen an der Wand festgeklebten Kabelkanal. Es gibt nichts, was ein Prockler nicht zerlegen könnte oder zerlegen würde, wenn man ihn nicht in seine Schranken weist. Auch diesen destruktiven Angrapscher Typ findet man bei Männlein wie Weiblein gleichermaßen.
Was Angrapscher gemeinsam haben
Allen hier benannten Angrapscher Typen ist folgendes gleichermaßen zu eigen:
- Sie haben oder zeigen keinerlei wie auch immer gearteten Respekt vor dem Eigentum ihrer Gastgeber.
- Sie imponieren durch eine fast schon beleidigende Unachtsamkeit.
- Sie zeigen absolut kein Unrechtsbewusstsein hinsichtlich ihres asozialen Verhaltens.
Dazu kommt oft, dass die Angrapscher, wenn es umgekehrt um ihre eigenen Dinge geht, außerordentlich empfindlich auf tatsächliche oder imaginierte Übergriffe reagieren, und sich superschnell auf den Schlips getreten fühlen, wenn man die Problematik zur Sprache bringt. Bittet man einen Angrapscher, seine hyperaktiven Finger doch bitte bei sich zu belassen, ist er in aller Regel sofort schwer beleidigt. Alles in allem sind Angrapscher sehr schwierige Zeitgenossen, die man nicht gerne zu sich nach Hause einlädt. Vor allem dann nicht, wenn die eigenen vier Wände liebevoll ausdekoriert sind, oder wenn filigrane und empfindliche Exponate kein Tatschen und Patschen unbeschadet überstehen würden.
Sollte es sich dennoch nicht vermeiden lassen, Angrapscher zu sich in die Wohnung oder ins Haus zu bitten, so muss man vorher tunlichst alles aus dem Weg räumen, was nicht unsachgemäß und unerlaubt befingert werden soll. Können (oder mögen) solche Verräumungen nicht bewerkstelligt werden, dann müssen wahlweise wirksame Absperrungen oder engmaschige wachsame Kontrollen den Angrapscher rechtzeitig an seinem Tun und Treiben hindern. Und auch bei der geplanten Sitzordnung ist darauf zu achten, dass Angrapscher nicht in der Nähe von schützenswürdigen Dingen Platz nehmen. Das klingt anstrengend und das ist es meistens auch. Wer solche Anstrengungen um der Gastfreundlichkeit willen dennoch auf sich zu nehmen bereit ist, der tut gut daran, das Ganze mit Humor zu nehmen:
– Milla Münchhausen –
Oh weh 😉 ja die kenn ich alle!
Und ich hab auch noch einen weiteren: Den Materialprüfer!
Typische Sätze:
– Bricht Dein Freischwinger eigentlich vorne durch, wenn ich mein gesamtes Gewicht nach hinten lege und dann an Schaukeln fange?
– Ob mich der Deckenhaken wohl trägt?
– Ist das Partygeschirr wirklich unzerbrechlich?
– Kriegt man da eigentlich schnell mal ne Dalle in die Tischplatte?
– Ist das nur vergoldet oder echt?
– Wie weit kann man das aufmachen?
Oh Mann, ich kann Euch sagen, hab ich alles schon erlebt. So Leute kriegen dann bei mir Hausverbot.