Seniorin am Steuer
An rechtschaffen trägen Wochenenden schaue ich gerne mal müßig meditierend aus dem Fenster und stelle meine persönlichen Betrachtungen an. Dazu liefern mir die stets in reicher Zahl daherkommenden Passanten und PKW jede Menge mentales Ausgangsmaterial. So auch vergangenen Sonntag.
Ich hörte es schon lange, bevor ich es sehen konnte: Ein Kleinwagen wurde ungesund hochtourig bei gleichzeitig schleifender Kupplung die Straße entlanggequält. Ehrlich: Für so eine schmerzvolle Technik-Tortur hätte mir mein Fahrlehrer damals schon in der allerersten Fahrstunde die Hammelbeine langgezogen. Klar, das meine Neugier geweckt war. Welcher schwerhörige Nullchecker mit dem Feingefühl eines Ambosses im freien Fall saß da wohl am Steuer? Und dann kam das Grauen in mein Blickfeld: Ein alter azurblauer Opel Corsa schleppte sich jaulend und wimmernd im Schritttempo heran, mit einer noch älteren Frau hinter dem Lenkrad. Es schien, als würde die Seniorin am Steuer verzweifelt nach einem Parkplatz suchen. Nicht etwa, dass es daran gemangelt hätte. Doch die vorhandenen Parklücken schienen der alten Dame allesamt nicht geräumig genug zu sein. Nach etlichen (fast schon grotesk anmutenden) Einpark-Fehlversuchen, die ich fassungslos von meinem Ansitz aus verfolgen konnte, wunderte es mich, dass der malträtierte Motor überhaupt noch Geräusche von sich gab, wenn auch erbärmliche und klägliche. Schließlich beschloss die schlohweiße Seniorin, ihr azurblaues Häufchen Elend direkt auf der Fahrbahn stehen zu lassen, sozusagen auf einem „Parkplatz“ in zweiter Reihe. Dazu muss man wissen, dass die dazu auserwählte Straße recht schmal ist, und dass derart unsozial parkende PKW dann durchaus ein seriöses Hindernis für den fließenden Verkehr darstellen.
Als der dem baldigen Getriebetod geweihte Opel Corsa schließlich stand, entstieg der Beifahrerseite ein älterer Herr, machte sich am Kofferraum zu schaffen und – fuhr seiner Chauffeurin dann einen stabilen Rollator an die Fahrertür. Sehr langsam, sehr umständlich und sichtlich von Schmerzen geplagt, schälte sich die Seniorin aus dem Auto und klinkte sich in ihren Rollator ein, während ihr Beifahrer den Wagen abschloss. Mit kleinen tapernden Schritten und mit offensichtlicher Unsicherheit beim Gehen entfernte sich das Paar dann in Richtung seines endgültigen Reiseziels und ließ mich kopfschüttelnd zurück.
Die Frau, die diesen Wagen gelenkt hat, kann kaum laufen, und kann ihre Beine ganz offensichtlich nicht uneingeschränkt gebrauchen. Bei so viel offenkundiger Gebrechlichkeit zweifle ich die Fahrtauglichkeit dieser Dame ganz entschieden an. Dazu kommt, dass sie allem Anschein nach jedes notwendige Gefühl für ihren fahrbaren Untersatz verloren zu haben scheint. Was, wenn sie mit ihrem alten Möhrchen in eine Situation geriete, die sofortiges und richtiges Reagieren erfordern würde? Was, wenn der ganz normale Wahnsinn auf Deutschlands Straßendschungel sie zum ängstlichen Bremsen statt zum beherzten Beschleunigen treiben würde? Was, wenn ihre steifen Beine und ihre astronomisch lange Reaktionszeit auf einen in Neapel ausgebildeten Taxifahrer treffen? Das alles mag ich mir nicht so wirklich ausmalen. Denn ich stehe nun mal nur auf Filmblut.
Nach dieser Beobachtung des potenziellen Grauens habe ich meine ursprünglich skeptische Haltung gegen eine routinemäßige Fahrtauglichkeitsüberprüfung alter Menschen gründlich revidiert. Denn bei allem schuldigen Respekt: Die Vorstellung, dass zahlreiche dieser tickenden Zeitbomben die Straßen unsicher machen (und das dann noch gepaart mit all den asozialen Arschlöchern, die Verkehrsregeln noch nicht mal vom Hörensagen kennen) macht mir eine Heidenangst. Ich möchte jedenfalls nicht in der Nähe sein, wenn das wahre Leben mit diesen Gefahrensuchern „Final Destination LIVE“ spielen will.
– Carina Collany –
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