Demenz und Fugue: Zwei Seiten einer Medaille

Fugue

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Fugue als klinisch psychologisches Phänomen ist auch bekannt als Poriomanie oder als dissoziative Impulskontrollsstörung (ICD-10: F44.1). Menschen mit dieser „Störung“ brechen kurzerhand aus ihrem bisherigen Leben aus, laufen weg und bleiben trotz intensiver Fahndung unerklärlich spurlos verschwunden. So lange, bis sie eines erstaunlichen Tages am anderen Ende der Welt durch einen dummen Zufall entdeckt werden. Bar jeder Erinnerung an Früher, dementsprechend unter einer neuen Identität und in einem überraschenden Umfeld, in dem man nie im Leben nach ihnen gesucht hätte.

Wer bekommt Fugue?

Psychiater, Psychotherapeuten und klinische Psychologen machen, neben anderen Ursachen, das Vorliegen einer Altersdemenz im Allgemeinen und die Alzheimersche Krankheit im Speziellen für das Auftreten von Fugue verantwortlich. Fragt man die wieder Gefundenen nach den Auslösern ihrer „Flucht“, so ist durchweg festzustellen, dass vordergründige Motive wie Fernweh, Neugier oder Abenteuerlust dabei keinerlei Rolle spielen. Die Menschen gehen einfach weg, einfach so. Und auch während des Fortgehens selbst zeigt sich kein Plan. Ganz im Gegenteil. Unter Fugue drohen den Betroffenen auf ihrem Irrweg ins Ungewisse allerlei Gefahren, auf die sie nicht vorbereitet sind. Der Straßenverkehr fordert hier seine Opfer (Unfall oder Sturz), ebenso wie widrige Witterungsverhältnisse (Unterkühlung oder Sonnenstich) oder ganz allgemein die Probleme beim ungeplanten Leben als verwirrter Vagabund mit Gedächtnisverlust. Die Parallelen zum demenziellen Syndrom sind also mehr als offensichtlich. Darum muss es für beide Phänomene, nach den Gesetzen der Logik, eine zu Grunde liegende erklärende Ursache geben. Aber welche?

Fugue und Demenz – Flucht vor dem Stress des Lebens?

Werfen wir, der Einfachheit halber (und dem ICD-10 zum Trotz), einmal Fugue und schwere Demenz in einen Topf. Dann einmal kräftig umrühren und die einzelnen Aspekte in eine fiktive und spekulative Relation zueinander setzen. In meinen subjektiven Augen spiegelt sich jetzt ein grundlegender und dabei durchaus nicht notwendiger Weise bewusster Wunsch,

  • der eigenen Realität zu entfliehen.
  • Nicht mehr am allgemeinen Rattenrennen teilnehmen zu müssen.
  • Aus dem Hamsterrad aussteigen zu können.
  • Sich um nichts mehr Sorgen machen zu müssen.
  • Den lieben Gott bei Tag und Nacht einen guten Mann sein zu lassen.
  • Nichts mehr um die Meinung „der Leute“ geben zu müssen.
  • Alte Fesseln abzuwerfen und alte Ketten zu sprengen.
  • Ohne Sorgen einfach nur behütet und beschützt sein zu dürfen.

Klingt doch irgendwie verlockend, nicht wahr? Wir alle, die wir in der hektischen Gegenwart unserer auf Tempo, Äußerlichkeiten und Eitelkeiten getrimmten Hochleistungsgesellschaft pausenlos perfekt funktionieren müssen, wären bestimmt ab und dann auch gerne mal ein bisschen Fugue. Oder ein bisschen dement bei optimaler Rundum-Betreuung. Was mich jetzt irgendwie mental zum Thema „Cannabis als am weitesten verbreitete illegale Droge“ bringt. Doch ich will jetzt nicht abschweifen ?

Fugue und das Kausalitätsproblem

Angenommen, Fugue (bzw. Demenz) wäre die konsequent realisierte individuelle Absage an den gnadenlosen Leistungszwang. Dann stellt sich die unvermeidliche Frage nach der Henne und dem Ei:

  1. Ist der Wunsch, aus den Mauern des eigenen Lebens auszubrechen, die vorgeordnete Ursache für Fugue bzw. Demenz? Dann ist der Wunsch, auszubrechen, die Ursache, und Fugue ist die Konsequenz.
  2. Oder tragen wir alle eine (genetische?) Prädisposition für Fugue in uns, die tief in unserem Erbgut schlummert und wirklich nur dann „erwacht“, wenn wir unseren täglichen Horror gar nicht mehr anders verpacken können? Dann wäre Fugue als latente Variable die Ursache, und unsere daraus resultierende Umweltreaktion (innere und äußere Kündigung) die sichtbare Konsequenz.

Was davon stimmt, ist schwer zu sagen. Es ist noch nicht einmal sicher, ob die Fragestellung überhaupt die Problematik abbildet. Fest steht nur eins: Kleine Fluchten machen wir alle jeden Tag. Große Fluchten dagegen wagen nur Wenige.

– Carina Collany –

 

Beitragsbild: geralt bei Pixabay

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Eine Antwort

  1. Dazu noch eine aktuelle Zusatz-Information:

    „Cannabis kehrt Alterungsprozesse im Gehirn um “
    Quelle: https://www.uni-bonn.de/neues/128-2017

    Zitat:
    „In einer Studie konnten alte Mäuse in den Zustand von zwei Monate jungen Tieren zurückversetzt werden. Dies gelang durch eine längere niedrig dosierte Behandlung mit einem Cannabis-Wirkstoff (…) Im nächsten Schritt soll untersucht werden, ob THC auch bei Demenzpatienten Alterungsprozesse des Gehirns umkehren und die kognitive Leistungsfähigkeit wieder steigern kann.“
    Quelle: https://www.gmx.net/magazine/gesundheit/cannabis-medizin-hilft-pflanze-schlechten-ruf-32971586